Django Unchained ist der erste Tarantino seit Jackie Brown, den ich gesehen habe. Irgendwann wurde es mir einfach zu viel – für Tarantinos Gewaltdarstellungen bin ich zu zart besaitet, sein B-Movie-Zitat-…hm…Arsenal erschließt sich mir eh nicht. Auch bei Django fließt wieder viel Blut, besprenkelt den weißen Schnee, die weißen Baumwollbüschel und die weißgetünchten Wände von “Candieland”, der Plantage von Monsieur Candie, auf der Djangos Geliebte Broonhilda gefangengehalten wird. Das ist die Tarantino-Gewalt, die ich kenne: überzeichnet, mit Blutspritzern in Slow Motion, einem Spruch vor Betätigung des Abzugs und überzeichneten Posen.
Aber in Django gab es eine zweite Darstellung von Gewalt, der diese offensichtliche B-Movie-Haftigkeit total abging. Sie war brutal, grausam, fast schon sadistisch und fast immer sind die Sklaven diejenigen, die als Objekte dieser Form der Gewaltdarstellung herhalten müssen. Wenn Broonhilda ein “r” (für “Runaway”) auf die Wange gebrannt bekommt, zwei Sklaven im Salon von Monsieur Candie um ihr Leben kämpfen müssen oder der Sklave D'Artagnan bei einem Fluchtversuch von Hunden zerfetzt wird, wechselt Tarantino in einen realistischen Modus. (Ohne Christina Nords Artikel wäre mir das so nicht aufgefallen, merci!)
Besonders deutlich wurde mir das in der Szene, in der Jamie Foxx nach dem ersten Befreiungsversuch kopfüber und nackt in einem Schuppen hängt und ihm ein Aufseher die Genitalien mit einem glühenden Messer entfernen will. Zugegeben, mir fiel es schwer, Foxx' durchtrainierten Körper mit ausgeprägten Bauchmuskeln und rasierter Schambehaarung als “Django” zu lesen anstatt als das Produkt eines zeitgenössischen Fitnessregimes – soviel zu der Frage, wie gut dieser “Realismus” funktioniert. Trotzdem scheint mir, dass Tarantino in Szenen wie dieser einen dominanten Blick eher verdoppelt anstatt ihn umzukehren. Stuart Hall hat in “The Spectacle of the Other” auf die Doppeldeutigkeit der Repräsentation von ‘Schwarzen’ (für Hall ein politischer Sammelbegriff) hingewiesen (ausführliche Argumentation hier zum Nachlesen). Der sexualisierte Blick auf den ‘schwarzen’ Körper führt zu abwertenden und gleichzeitig idealisierten Figuren – zum ‘Primitiven’ ebenso wie zum ‘Edlen Wilden’ und zum ‘Onkel Tom’. Und aus diesem Repräsentationsmodell kommt Tarantino nicht heraus, im Gegenteil, der gesamte Plot basiert darauf. Genau darin scheint mir das Problem von Django Unchained zu liegen und weniger im inflationären Gebrauch des N-Worts.
Das zeigt sich nicht nur in der Schlußszene, in der der ‘edle Wilde’ Django den ‘Uncle Tom’ Stephen in einem großen Finale in die Luft jagt (Ja, B-Movie-Gewalt!). Django verkörpert zwar die ‘poetic justice’ des Films, ist aber – im Gegensatz zur Figur von Christoph Waltz – dennoch durch Triebe anstatt durch Moral motiviert. Dass dieser ‘edle Wilde’ von Waltz auch erst in die Feinheiten des zugegebenermaßen wenig zivilisierten ‘weißen’ Zusammenlebens eingeführt, bzw. von diesem erst befreit werden muss, passt da gut ins Bild. Ganz im Gegensatz zu den historischen Sklavenaufständen, die (wie z.B. CLR James ausgeführt hat) durch eine nicht-intendierte, ‘richtige’ Adaption von republikanischen Idealen beeinflusst waren, benötigt Tarantino in Django Unchained einen verkörperten Europäer, um Django in die Freiheit zu führen – sowohl bei Djangos erster als auch bei seiner zweiten Flucht. Und damit ist der Film so etwas wie die B-Movie-Variante von Spielbergs Lincoln, der auf eine ganz ähnliche Weise das kollektive Handeln der Sklaven gegen ihre Versklaver ausblendet. Kein Wunder, dass Tarantino die Figur des einsamen Rächers Django wählt anstatt wie in Inglorious Basterds ein Kollektiv aus Rächern darzustellen.
Es sind genau diese Aspekte, die im feuilletonistischen Tarantino-Spektakel samt Holocaust-Vergleichen gerade untergehen. Wundern tut mich das nicht. Wer ernsthaft darüber streitet, ob man Kindern im Namen der “Werktreue” das deutsche N-Wort beibringen sollte, von dem darf man kein Verständnis von Geschichte erwarten, das über Reflexe, Phrasen und persönliche Eitelkeit hinausgeht.
Achso, unterhalten hat mich Django Unchained übrigens ganz gut. Trotzdem (oder gerade deshalb) – die nächsten Tarantinos schenke ich mir wieder.
PS: Man denkt nie für sich allein. Schlauer gibt's einen ähnlichen Gedanken beim
Jacobin Mag