Im Klassensatz bestellt.

Auf Walter Benn Michaels hatte mich J. schon vor einiger Zeit aufmerksam gemacht. Damals hatte der Literaturprofessor gerade im Bookforum einen Text veröffentlicht, in dem er die amerikanische Gegenwartsliteratur dafür scholt, dass sie vermeiden würde, die Finanzkrise und wachsende soziale Ungleichheit in den Staaten zu thematisieren und sich stattdessen lieber moralisierenden Fragestellungen über vergangene Verbrechen widmen würde. Die einzige Ausnahme sei ausgerechnet die TV-Show The Wire, aber das ist ja auch kein wohlgehütetes Geheimnis. Was auf seinen Appell nicht folgte, war eine ästhetische Konsequenz. Denn so sehr einem der Gegenstand der Bücher von J.S. Foer oder Aleksandar Hemon missfallen mag, dadurch dass sie Geschichte immer auch als komplexen Vermittlungsprozess beschreiben, haben sie ein gewichtiges Argument für sich. Der Realismus von The Wire ist halt mittlerweile eben nur ein erzählerischer Modus neben anderen und die Faszination, die dieser Modus auf die linken Intellektuellen von Marx bis Bourdieu immer ausgeübt hat, bestand darin, dass man genau dort bürgerliche Ideologien besonders gewinnbringend studieren kann, wo sich diese nicht als Ideologie, sondern als Welt präsentieren. Was für den Realismus des 19. Jahrhunderts unzweifelhalt gelten mag, für den des 21. aber nur mit gehöriger Naivität.

Womit dann der Bogen zurück zu Benn Michaels geschlagen wäre. In der neuesten  Ausgabe der London Review of Books stellt er eine Verfeinerung seiner Thesen vor. Aber diesmal stellt nicht der metafiktionale Gegenwartsroman, sondern eine antisexistische und antirassistische Politik der „Diversity“ die Negativfolie für sein Argument dar. Denn die Konzentration auf „Diversity“ habe die Idee von „Equality“ verdrängt. Letztendlich sei sie sogar eine Komplizin neoliberalen Denkens, weil sie die Akkumulation von Reichtum dadurch legitimiert, dass sie weniger stark an ‚sex‘ und ‚race‘ gekoppelt sei. Was im Kern stimmen mag - zumindest für den Bereich, aus dem Benn Michaels seine Beispiele wählt: die amerikanische Universität.

An sich ist das nicht verwerflich, mittlerweile ist man ja daran gewöhnt, dass linkes Denken eher aus den Literature Departments als aus anderen Institutionen der US-Zivilgesellschaft kommt. Aber das apellative „we“, das Benn Michaeals ständig anruft, lässt ebenfalls vermuten, dass letztendlich nur eine neue Runde in den „culture wars“ auf dem amerikanischen Campus eingeläutet werden soll, diesmal mit dem Ziel eines ‚class-based readings‘, inklusive gesteigerter Paperbackverkäufe der Romane von Upton Sinclair. Davon dürften aber diejenigen nichts haben, die nur in diesem Papierkrieg nur als Statisten die Manuskriptnotizen aus den Mülleimern fischen dürfen wie die reale Reinigungskraft, deren Gehalt Benn Michaels als Metapher für den „classism“ (Darüber müsste man auch mal was schreiben…) herbeizieht. Und damit das paternalistische Sprechen über „die Armen“ fortsetzt. Was sich auch darin zeigt, dass seine Beispiele für ‚race‘ allesamt Afro-Amerikaner sind und damit abgekoppelt von der Frage nach Arbeitsmigration. Für illegal eingereiste Tagelöhner ist Rassismus aber Alltag, ja integral für ihre Existenz als „Illegale“. Falls amerikanische Unis an diesem System nicht teilhaben, ist das löblich. Aber dass ihre Literaturprofessoren darüber nicht nachdenken dann aber doch eher peinlich elfenbeinturmhaft.      

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Tropige Trauben ?

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